Dorothea Seror Dekonstruktion des Vaters  

Dekonstruktion des Vaters
- Hommage an Louise Bourgeois

Oktober 2010, München
Kunstpavillon im alten botanischen Garten

2011, Icamp|neues Theater, München
»Wilde Tendenzen: All About Sex«

Equipment: alte Hemden, Penatenkrem,
Serviettenringe, Korken,
Eierwärmer, Nadeln, Kämme,
Gummipenis, Gummikappe

Konzept + Performance: Dorothea Seror

Photos ©Tom Gonsior


Dorothea Seror Dekonstruktion des Vaters






Dorothea Seror Dekonstruktion des Vaters


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Ablauf: Die Künstlerin tritt mit Hemden ihres verstorbenen Vaters bekleidet auf. Auf der Bühnenfläche liegen Objekte wie Penatenkreme, ein OP-Hemd, Stecknadeln, runde Haarkämme, Serviettenringe und Korken und eine Gummikappe. Sie bestückt die Kämme mit Stecknadeln und zieht sich dann die Haube auf. Mit Korken in den Ohren versucht sie, sich die Serviettenringe in die Augen zu klemmen und einen Eierwärmer auf den Kopf zu stellen.

Dann beginnt sie, sich Lippen, Ohren und Augen und schließlich Arme und Beine einzukremen. Als sie die unter den Hemden liegenden Körperteile nicht erreicht, zerreisst sie diese, eines nach dem anderen. Fast nackt beschmiert sie ihren restlichen Körper und entledigt sich ihrer Unterhose. Zum Vorschein kommt ein männliches Geschlechtsteil, das sie nach dem Einschmieren kreisen lässt. Kreisend bewegt sie die Kämme auf ihrem Körper bis sich Blutspuren zeigen. Sie entledigt sich des männlichen Genitals und der Glatze, hüllt sich in das OP-Hemd und kämmt ihr Haar.

Konzept: Mit Accessoires aus der Erlebniswelt mit meinem eigenen Vater setze ich mich mit meinem Verhältnis zu männlichen Überfiguren und patriarchalen Systemen auseinander. Hiermit verweise ich auf die Arbeiten »destruction of the father/ reconstruction of the father« der in diesem Jahr verstorbene Künstlerin Louise Bourgeois, deren Werk für mich stets eine besondere Anregung war.

Louise Bourgeois hat höchst konsequent ihre eigenen Kindheitserlebnisse in ihrere Kunst verarbeitet. Ebenso wie sie thematisiere ich die Widersprüchlichekeit des Männlichen und Weiblichen und ihre Zusammengehörigkeit in Form von Objekten und füge als Material und Ausdrucksträger meinem eigenen Körper mit seinen Attributen hinzu. Die unbelebten phallischen Objekte hole ich in die körperliche lebendige Ebene erlebe selbst eine Transformation von einem Geschlecht ins andere.


»Es ist die bislang persönlichste Performance Dorothea Serors. Die Idee entwickelte sie in der Nacht, in der sie vom Tod von Louise Bourgeois erfuhr.

Wenige Wochen zuvor war ihr Vater gestorben. Destruction of the Father, eine zentrale Arbeit im Werk von Louise Bourgeois aus dem Jahr 1974, war Ermutigung. Mit ihrer Performance erweist Seror der Grande Dame stilistisch disparater bildhauerischer Möglichkeiten ihre Referenz. Und geht zugleich einen eigenen Weg. Die Münchner Künstlerin verhandelt Rollen- bzw. Bindungskonflikte mit einer an der banalen Wirklichkeit wahrgenommenen Direktheit. Obwohl Wut, Trauer und Schmerz ein ambivalentes Verhältnis eingehen und die Akteurin im Verlauf der Performance mehrfach ihre (geschlechtliche) Identität wechselt, bleibt Serors Zugriff beunruhigend konkret. Hierzu trägt vor allem bei, dass der in einem Transformatiosprozess zu überwindende Vater in seinen tatsächlichen, urpersönlichen Relikten stets bühnenpräsent ist.

Die Tochter quält sich, schält sich. Reißt sich sechs Oberhemden des Erzeugers vom Leib, dass nur so die Fetzen fliegen. Gerät in Ekstase, schmiert sich wie wild seine Penatencreme auf den entblößten Körper. Schließlich auch auf den erigierten Latexpenis, den SIE aus ihrem Schlüpfer schnellen und den ER nun lustvoll kreisen lässt. Ein herrlicher Moment naturvölkerhafter Androgynie, eine weibliche Butohbeschwörung des phallischen Ahnenkörpers. Aufatmen? ! Der Geruch der Penatencreme dringt bis in die letzten Stuhlreihen. Nun begreift Mann/Frau, weshalb des Vaters runde Plastikhaarbürsten am Anfang feinsäuberlich mit Stecknadeln gespickt wurden. Das dunkle Blut hat es schwer, durch die dicke weiße Fettschicht zu gelangen, die über der Hautoberfläche lagert. Es sucht sich trotzdem seinen Weg. Schlusssequenz: Blutperlen netzen das OP-Hemdchen, das den geschundenen Leib in gnädiger Geschlechtslosigkeit verhüllt. Die Striegel fahren weiter, glätten nun das blonde lange Haar: eine befreiende Aussöhnung im Angesicht des Todes.

Dekonstruktion des Vaters ist eine äußerst konzentrierte, vielschichtige Darstellung innerer Befindlichkeit, die vom ersten bis zum letzten Moment fesselt. Seror gelingt nicht nur eine Rekonstruktion des verlorenen, ebenso verletzlichen Anderen, sondern auch eine subtilprovokante Neukonstruktion des Eigenen. Längst in ein kollektives Bewusstsein übernommene Formeln einer inzwischen institutionalisierten Gender-Kunst werden neu hinterfragt, ja in einen alltäglich-zeitgemäßen und deshalb wieder eindringlich schockierenden Erfahrungsbereich zurückgeholt. Seror lässt den Erkenntnisprozess beim real erfahrbaren Gegenstand und am lebenden Menschen beginnen, führt ihn von da zum Transzendierten und Symbolischen. Das unterscheidet ihre Generation bei aller Seelenverwandtschaft von Louise Bourgeois, deren zukunftsweisende Körpersubversionen morphologisch noch immer der primitivistischen Ästhetik der Klassischen Moderne verpflichtet waren.«

Dr. Harald Tesan Kunsthistoriker, Nürnberg


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